Karsten Ferdinand Kröncke, Eltern
Freie Waldorfschule Freiburg-Kirchstraße, Merzhausen
1. Vortrag
Elternabend
Freitag, 22. November 1996, 18 Uhr
Auf welche geistigen Wurzeln blicken wir zurück?
Was hat hier geistig gelebt?
Woran und an wen wollen wir anknüpfen?
In seinem an uns gerichtetem Grußwort sagt Stefan Leber, Vorstandsmitglied des Bundes der Freien Waldorfschulen,
»... Der Freiburger Raum hat eine besondere Signatur, sowohl geographisch als auch geistig-kulturell ...« –
»... Das geistige Leben schafft ein Klima, in dem Fragestellung und Suchbewegungen sensibler gedeihen können als an anderen Orten ...« –.
Die geistigen Wurzeln
Wenn ich einen Raum betrete, es mag ein Zimmer, ein Zelt, eine Hütte, eine Wohnung, ein Büro, eine Werkstatt, ein Klassenzimmer, eine Schule, eine Kirche, ein Tempel oder ein Königspalast sein, spüre ich etwas. Vom Raum scheint etwas auszugehen. Davon lasse ich mich beeinflussen. Kommt der Einfluß vielleicht von einer Art Kraft, die ich mit meinen fünf Sinnen nicht erfassen oder mit meinem Bewußtsein mir nicht erklären kann? Aber ich kann sie spüren. Was für den umbauten Raum gilt, läßt sich auch auf Landschaftsräume übertragen.
Was geschieht mit mir, wenn ich einen Raum betrete? Zuerst fühle ich mich gezwungen, mich im Raum zu orientieren. Ich füge mich den Raumverhältnissen, bestehend aus Klima, Landschaftsform, Bodenbeschaffenheit, Wald, Wasser- und Steinvorkommen.
Als zweitens folgt mein Bedürfnis, mich im Raum einzurichten. So entstanden wohl die unterschiedlichsten Häuserformen auf der Erde wie Iglu aus Eis, Tipi aus Bisonhäuten, Jurte aus Stoff, Hütte aus Holz, Stein, Lehm, Schwarzwaldbauernhof, Niedersachsenhaus, Bayrisches Langhaus, Fachwerkhaus in der Heide, Steinhaus im Gebirge, leichtes Baumbushaus in Japan. Der Mensch schuf sich das durch die im Raum wirkende Kraft. Sie bringt die schöpferischen Dinge hervor.
Die im Raum wirkende Kraft ist auch der Grund für die in bestimmten Räumen sich entwickelnden verschiedenen Menschen, Tiere und Pflanzen und Mineralien mit all ihren vielfältigen Unterscheidungsmerkmalen.
Alle Menschen schufen sich ihre Sprachen, Sitten, Religionen, Kulturen und Lebensformen, von der Staatsform bis zu den einfachsten täglichen Gebräuchen, aufgrund ihrer Lebensräume.
Vom Raum muß also eine Kraft ausgehen, der ich mich nicht entziehen kann. Ich bin ihr ausgesetzt. Die Kraft des Raumes kann ich nicht sehen oder berühren, nicht riechen oder schmecken, nicht messen oder wiegen. Ich kann sie nur spüren. Wie kann ich sie dann untersuchen?
Die Notwendigkeit sich am und im Raum orientieren zu müssen, wiederholt sich bei jeder Ortsveränderung. Die Kraft des Raumes wird mir orientierungssuchenden Menschen immer dann offenbar, sobald ich beginne, etwas zu tun. Ich beobachte an mir, daß mir in einem bestimmten Raum eine Arbeit besser gelingt als in einem anderen. Ich folgere daraus, daß ich die von einem Raum ausgehende Kraft an meinem Tun erkennen kann. Dieser Beobachtung folgt die Frage: Was ist das für eine im Raum befindliche Kraft, die mich so stark und nachhaltig beeinflussen kann?
Bevor ich mich einer möglichen Antwort zuwende, richtet sich mein Interesse zunächst auf eine andere Beobachtung. Im Volksmund sprechen wir von der Seele und von der Atmosphäre des Raumes. Wir behaupten, ein Gebäude würde auf uns bedrückend, erdrückend oder leicht beschwingt, erhaben wirken. So beurteilen wir auch Landschaften. Aber wir empfinden diese nicht alle gleich. So kann eine bestimmte Gebirgslandschaft auf mich erhaben wirken. Ein anderer könnte dagegen sagen, die selbe Landschaft würde ihn erdrücken. Jeder empfindet anders – aber jeder würde sagen, der Raum wirke nun mal auf eine ganz bestimmte Art und Weise auf ihn und würde sein Empfinden für diesen Raum und für vieles andere auch beeinflussen.
Wir sprechen nicht nur von der Seele des Raumes, sondern auch vom Geist des Raumes. Wir kennen das Wort aus dem Volkes Mund »... in diesem Hause wohnt ein guter Geist... «. Was ist damit gemeint? In der Regel meinen wir damit, hier wohnt ein guter Mensch, der alles wohl bestellt. Aber manchmal ist damit auch etwas anderes gemeint. Ich benutze diese Redewendung auch dann an, wenn mir die Idee des Hauses gut gefällt. Indem ich einem Haus einen Namen gebe, weise ich auf den Geist des Hauses hin. Von diesem Geist geht auf mich eine Kraft aus, die ich spüre.
Ein anderes Beispiel: Ich sitze in meinem Zimmer (Raum) und schreibe ein Buch. Das Buch wird durch seine Form zu einem Raum. Die beschriebenen Seiten weisen auf den Inhalt hin. Mit dem Titel personifiziere ich das Buch. Inhalt und Titel bilden den geistigen Teil. Die Seiten des Buches stellen das Geistige materialisiert dar. Das ist der körperliche Teil. An dieser Stelle halte ich meine Beobachtungen inne und frage: Was könnten dann Seele, Geist und Körper sein?
Das Buch in seiner materiellen Erscheinung entspricht dem Körper. Titel und Inhalt des Buches entsprechen dem Geistigen. Ideen haben schon immer mehr bewirkt als Kriege, also setze ich das Geistige gleich mit Kraft. Geist und Körper kann ich zuordnen, bleibt mir nur noch übrig, die Seele zuzuordnen. Das Buch nimmt mit seinen Abmessungen einen Raum ein. Folglich ordne ich die Seele dem Raum zu. Die selbe Frage anders herum beantwortet:
- Die Seele entspricht dem Raum. Er zeigt sich an seinen Abmessungen
Der Geist entspricht der Kraft im Raum
Der Körper entspricht der durch die Kraft des Raumes schöpferisch hervorgebrachten Form (Ding, Sache)
Ich fasse zusammen:
- Die Kraft (Geist)
des Raumes (Seele)
bringt schöpferisch die Dinge oder Formen (Körper) hervor.
Unser Landschaftsraum
Das Rheintal, bestehend aus dem Jura im Süden, den Vogesen im Westen, dem Schwarzwald im Osten und der offenen Weite nach Norden hin, mit seinem Rhein in der Mitte, umfaßt ein Gebiet von rund 160 km Länge und 60 km Breite.
In diesem Raum, mit seinem Klima, seinen Landschaften bestehend aus Wassern, Wäldern und Wiesen auf fruchtbaren Böden und Hügeln und Bergen mit unterschiedlichen Gesteinen schufen sich die hier lebenden Menschen schon immer kulturell etwas Außergewöhnliches.
Die Römer ( 58 v. Chr. - 460 n. Chr.), die Kulturbereiter:
Nach Kelten und Germanen besetzten die Römer unser Tal. Ihnen folgten die Alemannen. Sie benötigten 200 Jahre, von 260-460, um die Römer zu vertreiben, deren zurückgelassenen Kulturgüter sie dann teilweise übernahmen. Dazu gehörten z. B. erschlossene Verkehrswege, Weinkultur, verbesserte Anbaumethoden in der Landwirtschaft und neue Wege in der Heilkunde mit den heißen Quellen in Badenweiler und in Baden-Baden, die selbst römische Kaiser besuchten (Caracalla im Jahre 213). Wir benutzen sie noch heute gern.
Freiburgs Bürger, die Eigenverantwortlichen:
Um 1220 ging von Freiburgs Bürgertum die Initiative aus, das Münster zu bauen. 500 Jahre später war es vollendet. Es gehört heute zu den schönsten Bauwerken Europas. Sein Westturm ist in künstlerischer Leistung das Sublimste und Reifste, was die europäische Gotik in der Gestaltung von Kirchtürmen überhaupt geschaffen hat.
Erasmus von Rotterdam (1465-1536), der Humanist:
(sein Grabstein liegt in Basel, im Innern des fünfschiffigen romanisch-gotischen Münsters)
Viele Jahre lebte er in Basel und in Freiburg, verlieh dem Humanismus als gelehrte Bildungsbewegung eine besondere Schubkraft, die bis heute nachwirkt. Die Formklarheit der Antike wurde für den Humanismus zum Maßstab höheren Menschtums erhoben. Als Ziel galt die Kultivierung aller dem Menschen innewohnenden seelischen Fähigkeiten zwecks Ausprägung der Persönlichkeit. Der Mensch als das Maß der Dinge stand im Mittelpunkt einer überwiegend optimistischen Weltbetrachtung. An diesem Punkt ansetzend ging es Erasmus um die Aussöhnung von Christentum und Kultur. Die Religion, frei von Kirche und Dogma, war ihm zur Humanität geworden, ein Stück allgemeiner Bildung.
Bartholomäus Herder (1774-1838), der Unternehmer:
Sein Ziel war es, » ... gelehrter Buchhändler zu werden und vermittelst des Buchhandelns durch Verbreitung guter Schriften in das Leben einzugreifen ...« Als Unternehmer vertrat er darüber hinaus die Auffassung, der Profit sollte stets der Schaffung eines besseren Deutschlands dienen. Seine Fürsorge für seine Arbeiter und deren Familien war vorbildlich.
Karl von Rotteck (1775-1840), der Politiker:
Das Leitmotiv seines Lebens war die »... Gültigkeit der Menschenrechte vor und unabhängig von jeder Staatlichkeit...«. Die Freiheit des Einzelnen sah er durch einen Staatenbund besser gewährleistet als durch jede andere Staatsform. Für seine Idee trat er offen ein und war für Zugeständnisse an den Zeitgeist nicht bereit. Zwar hatte er dadurch erhebliche soziale Nachteile in Kauf zu nehmen – aber seine Idee verlor nicht an Kraft. Im Gegenteil, sie wurde stärker. Das förderale Deutschland kam erst über hundert Jahre danach zustande und das künftige vereinte Europa wird nun demnächst, rund 150 Jahre später, erreicht sein. Beide Staatsformen bestätigen seine Vision von Freiheit in Einheit.
Rudolf Steiner (1861-1925), der Wegweiser:
Als Begründer der »anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft« gab er zahlreiche Anregungen für eine Erneuerung auf vielen Lebensgebieten: Kunst, Pädagogik, Naturwissenschaften, soziales Leben, Medizin, Theologie, Landwirtschaft. In Dornach, südöstlich von Basel, am Südrand des Rheintales gelegen, befindet sich seit 1913 das Goetheanum. Die Bauten des anthroposophischen Zentrums sind wichtige Zeugnisse des Expressionismus in der Baukunst. Der Hauptbau wurde nach dem Brand der vorgängigen Holzkonstruktion (1913-1922) nach einem Modell Rudolf Steiners 1924-28 in Sichtbeton neu errichtet.
Ausgehend von Dornach stellte Steiner 1919 vor allem im süddeutschen Raum in Aufsätzen und Vorträgen seine Gedanken einer »Dreigliederung des sozialen Organismus« vor. Noch im selben Jahr, am 7.9.1919, nahm die erste »Waldorfschule« in Stuttgart ihre Arbeit auf. Die Initiative dazu kam von Emil Molt, Direktor der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik. Aus diesem Anlaß hielt Steiner vor Schulbeginn einen dreiwöchigen Vortragskurs, der die Waldorfpädagogik begründete. An dem Kurs nahmen siebzehn Personen, acht Damen und neun Herren teil. Sie bildeten das erste Kollegium.
Gertrud Luckner (1900-1995), die Bürgerin mit außergewöhnlicher Zivilcourage:
In der Zeit des III. Reiches begann sie von Anfang an von Freiburg aus unaufgefordert und unbeirrbar sich für die Verfolgten und Entrechteten einzusetzen: Hier ein Hinweis auf ein sicheres Versteck, dort ein Ausreisevisum, da eine finanzielle Unterstützung oder einen Unterschlupf bei Freunden. Binnen kurzer Zeit schuf sie ein im Untergrund wirkendes effizientes privates Hilfswerk. Später fand sie Unterstützung beim Deutschen Caritasverband Freiburg, in dem ihr Hilfswerk aufging. Im Auftrage der Caritas setzte sie ihren Einsatz fort - bis zu ihrer Verhaftung in 1943. Nach 1945 ließen sie die Versöhnung und Gespräche zwischen Christen und Juden, aber auch zwischen Christen und den Vertretern anderer Religionen und Kulturen bis ins hohe Alter rastlos arbeiten. Mit zahlreichen hohen und höchsten Ehrungen der Stadt Freiburg, Deutschlands und Israels würdigten in den letzten dreißig Jahren ihres Lebens Oberbürgermeister, Ministerpräsidenten, Kanzler und Präsidenten hochachtend ihr Lebenswerk.
Woran und an wen wollen wir anknüpfen?
Im Rahmen des unseren Kindern vermittelten Unterrichts und der Ausbildung in der Freien Waldorfschule Freiburg-Kirchstraße wollen wir:
- – die Eigenverantwortlichkeit der Freiburger Bürger als vorbildliches Verhalten für eigenes verantwortliches Tun ansehen
– die humanistische Tradition des Erasmus von Rotterdam fortschreiben
– die politischen Ideale und Vorstellung von Freiheit und Gültigkeit der Menschenrechte des Karl von Rotteck aufrechterhalten
– die von Rudolf Steiner begründete Waldorfpädagogik (»Erziehungskunst«) anwenden
– die Versöhnung und Führung von Gesprächen zwischen allen Menschen, gleich welcher Herkunft, Religion und Kultur, so wie es Gertrud Luckner uns vormachte, bruchlos fortsetzen.
Wir verwirklichen unser Vorhaben, indem wir uns für unsere Kinder in dieser Schule betätigen. Wir wollen für unsere Kinder handeln
- – eigenverantwortlich
– einsatzbereit und opferbereit
– humanistisch und liberal
– offen nach außen und innen für multikulturelle Begegnungen auf allen Ebenen menschlichen Daseins.
Um das leben und auch erreichen zu können, bietet dieser Landschaftsraum mit all seinen geographischen Signaturen uns die allerbesten Voraussetzungen.
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Karsten Ferdinand Kröncke, Eltern
Freie Waldorfschule Freiburg-Kirchstraße, Merzhausen
2. Vortrag
Eröffnungsansprache, öffentliches Publikum
Samstag, 23. November 1996, 09:00 MEZ
Guten Morgen!
Im Namen des Vorstands und des Kollegiums des Schulträgers der Freien Waldorfschule Freiburg-Kirchstraße e. V. begrüße ich Sie liebe Eltern, Familienangehörige, Verwandte, Freunde und Bekannte zu unserem Einweihungsfest sehr herzlich. Unsere Kinder begrüßen wir nachher gesondert.
Wir zusammen begrüßen besonders unsere Gäste:
Herrn Bürgermeister Isaak von der Gemeinde Merzhausen. Bei ihm und der Gemeinde Merzhausen bedanken wir uns an dieser Stelle besonders. Wir sind glücklich darüber, daß wir hier für die nächsten drei Jahre ein stabiles Zuhause gefunden haben. Nun ist unsere räumliche Fortentwicklung als Schule gesichert. Um die Jahrhundertwende werden wir um das Doppelte angewachsen sein. Dann kehren wir nach Freiburg zurück. Darum behalten wir unseren Namen Freie Waldorfschule Freiburg-Kirchstraße. Danke Herr Bürgermeister Isaak!
Wir begrüßen von Stadt, Land und Bund:
- Frau Ursula Kuri, CDU, Stadträtin und Landtagsabgeordnete
Frau Sigrun Löwisch, CDU, Bundestagsabgeordnete
Herrn Ulrich Brinkmann, SPD, Landtagsabgeordneter
Herrn Gundolf Fleischer, CDU, Landtagsabgeordneter
Herrn Dr. Walter Witzel, GRÜNE, Stadtrat und Landtagsabgeordneter
Herzlichen Dank für Ihr Kommen. Darüber freuen wir uns sehr. Danke!
Wir danken auch den heute hier nicht anwesenden Politikern für ihre uns wohltuenden Worte. Ihre Grüße sind in unserer Festschrift abgedruckt. Danke!
Es ehrt uns sehr, daß diese Damen und Herren, die die Politik in der Gemeinde, in der Stadt, im Land und im Bund vertreten, uns Ihre hohe Aufmerksamkeit schenken.
Warum gründen Eltern für ihre Kinder heutzutage eine neue Schule? Gibt es nicht schon genug Schulen? Haben unsere Politikerinnen und Politiker in Gemeinden, Stadt, Land und Bund in den letzten Jahrzehnten nicht genug für Unterricht und Ausbildung getan? Doch! Alle leisteten viel. Sogar sehr viel! Schauen Sie sich bitte nur unsere Nachbarschule an. In letzter Zeit erst wurde sie fertig gestellt. Auch die Stadt Freiburg war fleißig. Sie erstellte in diesem Jahr im Rieselfeld das Kepler-Gymnasium und eine Grundschule. Warum dann trotzdem eine neue, eine andere Schule? Wir Eltern wünschen für unsere Kinder diese Schule.
Unsere Auffassung wird von unserem Grundgesetz ausdrücklich gewollt und abgesichert. Schulen in Freier Trägerschaft haben eine grundgesetzlich festverankerte Position. In dieser kleinen Ecke unseres Grundgesetzes, ich nenne sie mal Ecke der Schulfreiheit für unsere Kinder, nehmen wir Platz. Mit unserer neuen Waldorfschule füllen wir ihn mit weiterem Leben aus. Das tut unserem Grundgesetz gut.
Einerseits ist uns für die Wahrung der Freiheit der allerhöchste Schutz des Staates gewiß. Andererseits hat diese Freiheit auch ihren Preis, ausgedrückt in oft vom Munde abgesparten Heller und Pfennig. In den ersten drei Gründungsjahren müssen wir sogar drei Mal so viel zahlen! Unsere Landesregierung beschloß vor einigen Jahren, die vom Grundgesetz abgesicherten Zuschüsse nicht von Beginn an, sondern erst nach drei Jahren zu zahlen. So kommt zu den vielfältigen Arbeitseinsätzen, die wir Eltern und das Kollegium für unsere Kinder in unserer Tagesfreizeit, an Wochenenden oder im Urlaub leisten noch eine erhebliche finanzielle Belastung dazu. In Mark ausgedrückt sind das rund eine Million Mark!
Wir Eltern vertreten das Prinzip der vorrangigen Eigenverantwortung des Einzelnen. So ging die Initiative zur Schulgründung von uns Eltern aus und wir fanden ein Gründungskollegium. Danke, liebe Lehrerinnen und Lehrer!
In der Freien Waldorfschule Freiburg-Wiehre fanden wir unsere Patenschule, heute hier vertreten von Herrn Dieter Busl. Danke liebe Patenschule, danke lieber Herr Busl!
Mit unserer Schulaktivität übernehmen wir Eigenverantwortung. Das sieht unser Grundgesetz ausdrücklich vor. Wir nehmen dieses Recht in Anspruch und wissen zugleich um den höchsten Schutz. Niemand wird versuchen wollen, uns dieses Recht einzuschränken, noch wegzunehmen. Aber seit einigen Jahren versucht unsere Landesregierung den Freien Schulen das Dasein zu erschweren. Das ist nicht rechtens! urteilte das Bundesverfassungsgericht. Danke, liebes Bundesverfassungsgericht!
Wer Rechte wahrnimmt, hat auch Pflichten. Wir wollen sie uns nicht von einem Daseinsvorsorgestaat abnehmen lassen. Wir haben kein überbordendes Verständnis von den Aufgaben, die der Sozialstaat zu erfüllen habe. Mit seiner teilweisen sinnlosen Überbürokratisierung, mit der solch ein Staat versuchen würde, alles regeln zu wollen, kann der perfektionierte Sozialstaat auch Gemeinsinn zerstören. Jedes dynamische Element in Wirtschaft und Gesellschaft müßte an der Regulierungswut ersticken.
Wir wollen solidarisch mit dem Staat sein. Wir wollen den schlanken, effizienten Dienstleistungsstaat, der nur dort helfen sollte, wo der Einzelne tatsächlich überfordert ist. An dieser Stelle, nur an dieser Stelle, wollen wir den Staat in Anspruch nehmen. Und dann sollte er auch da sein!
Diesen Überforderungspunkt erreichten wir zum ersten Mal, als es 1994 um Schulräume ging. Die Stadt Freiburg half hier: Im Südflügel der Gertrud-Luckner-Schule in der Kirchstraße fanden wir unser erstes Domizil. Danke, liebe Stadt Freiburg!
Diesen Überforderungspunkt erreichten wir in diesem Jahr ein zweites Mal, als es um Ersatzschulräume ging. Dieses Mal half die Gemeinde Merzhausen: in dieser Schule fanden wir unser zweites Domizil. Danke, liebe Hextentalgemeinde!
Diesen Überforderungspunkt werden wir im nächsten Jahr ein drittes Mal erreichen, wenn es um einen endgültigen Standort in Freiburg geht. Die Stadt Freiburg will hier aktiv helfen! So ihre verbindliche Zusage heute. Danke, liebe Stadt Freiburg.
Unsere Herzen sind erfüllt mit Freude. Heute können wir dieses Einweihungsfest mit Blick auf das bisher Erreichte und mit Blick auf das noch Kommende heiter begehen. Zuvor aber noch ein kleiner Gedanke:
Was ist das Leben?
An einem schönen Sommertag war um die Mittagszeit eine Stille im Walde eingetreten. Die Vögel steckten die Köpfe unter ihre Flügel. Alles ruhte. Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte:
»Was ist das Leben?«
Alle waren betroffen über diese schwere Frage. Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus.
»Das Leben«, sagte sie, »ist eine Entwicklung.«
So tief veranlagt war der Schmetterling nicht. Lustig flog er von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte:
»Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein.«
Drunten am Boden schleppte sich eine Ameise mit einem Strohhalm ab, zehnmal länger als sie selbst und sagte:
»Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit.«
Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltigen Blume zurück und meinte dazu:
»Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen.«
Wo so weise Reden geführt wurden, steckte der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und sagte:
»Das Leben ist ein Kampf im Dunkeln.«
Die Elster, die selbst nichts weiß und nur vom Spott über andere lebt, sagte:
»Ach, was ihr für weise Reden führt. Man sollte meinen, was ihr für gescheite Leute seid!«
Es hätte nun einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte. Der sagte:
»Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen.«
Dann zog er weiter zum Meer.
Hoch über ihnen zog majestätisch ein Adler seine Kreise. Der frohlockte:
»Das Leben ist ein Streben nach oben.«
Nicht weit davon stand eine Weide, die hatte der Sturm schon zur Seite geneigt. Sie sprach:
»Das Leben ist ein sich Neigen unter einer höheren Macht.«
Dann kam die Nacht. Im lautlosen Flug glitt ein Uhu durch das Geäst des Waldes und krächzte:
»Das Leben heißt, die Gelegenheit nutzen, wenn die anderen schlafen.«
Schließlich wurde es still im Walde. Nach einer Weile ging ein Mann durch die menschenleeren Straßen nach Haus. Er kam von einer Lustbarkeit und sagte vor sich hin:
»Das Leben ist ein ständiges Suchen nach Glück und eine Kette von Enttäuschungen.«
Auf einmal flammte die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach:
»Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist Leben der Ausbruch in die Ewigkeit.«
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Ursprung (angeblich ein schwedisches Waldmärchen)
und Verfasser sind mir unbekannt.
Gesammelt und zusammengestellt von
Karsten F. Kröncke, Freiburg, 1996